Wichtiges Windsystem: Die 5 wichtigsten Fragen zum Jetstream
Der Jetstream »spielt verrückt«, heißt es immer öfter, wenn lang anhaltende Hitzewellen oder Starkregenfälle unsere Breiten heimsuchen. Tatsächlich führen Fachleute zahlreiche Extremwetterlagen der vergangenen Jahre darauf zurück, dass der atmosphärische Strahlstrom rund um die Arktis, der unser tägliches Wetter mitbestimmt, ungewöhnliche Muster beschreibt. Doch das ist nur einer der Gründe, weshalb die Jetstreams heute im Fokus der Forschung stehen. Tatsächlich hängt nicht nur das Wohl und Wehe von Millionen Flugreisenden von ihnen ab, sondern die Lebensgrundlage eines großen Teils der Weltbevölkerung. Und man findet sie sogar auf den fernen, fremden Gasplaneten. Wir beantworten die fünf spannendsten Fragen zu dem Höhenwind.
Warum verändert der Klimawandel den Jetstream?
Vier große Strahlströme, auch Jetstreams genannt, wehen von West nach Ost in etwa 8 bis 15 Kilometer Höhe um die Erde: In einem Korridor zwischen 40 und 60 Grad nördlicher sowie südlicher Breite strömen die Polarfrontjetstreams in weiten Schleifen, die auf gigantische, um den Planeten wandernde Wellen zurückgehen. Näher am Äquator, zwischen dem 20. und 30. Breitengrad, fließen die schwächeren und weniger ausschwingenden Subtropenjetstreams. Der Polarfrontjetstream auf der Nordhalbkugel bestimmt mit seinen Bewegungen das tägliche Wetter in den gemäßigten Breiten. In seinem Kernbereich herrschen Windgeschwindigkeiten von bis zu 500 Stundenkilometern.
Triebkraft für die Jetstreams sind Temperaturunterschiede in der Troposphäre, beim Polarfrontjetstream auf der Nordhalbkugel die Differenz zwischen der Arktis und den wärmeren Breiten. Im Sommer weht der Strahlstrom daher generell weniger stark als im Winter, weil dann das Temperaturgefälle von den gemäßigten Breiten zum Nordpol geringer ist. Durch den Klimawandel erwärmt sich die Arktis jedoch schneller als die anderen Regionen der Erde. Weil dadurch der Temperaturunterschied abnimmt, wird auch der Jetstream schwächer und beginnt zu »schlingern«, beschreibt also stärker ausgeprägte Kurven nach Nord und Süd.
Solche Kurven bringen Wetterzentren hervor: Unter den nördlichen Wellenbergen, »Höhenrücken« genannt, bilden sich Hochdruckgebiete aus und sorgen für trockenes, warmes Wetter. Innerhalb der südlichen Wellentäler (»Tröge«) entstehen hingegen Tiefdruckgebiete und verursachen Niederschläge. Während der Jetstream langsam ostwärts vorrückt, transportiert er diese Wetterzentren um den Globus. Je ausgeprägter die Wellenberge und Wellentäler sind, desto stärker werden auch die entstehenden Druckzentren – und desto extremer wird das Wetter. Wenn der Jetstream schwächelt, wandern auch die als Rossby-Wellen bezeichneten Schlaufen langsamer um den Planeten – und im Extremfall kann sich eine stehende Welle ausbilden.
Das ist zum Beispiel der Fall bei einer Omega-Wetterlage, bei der eine Jetstream-Schleife um ein stationäres Hochdruckgebiet herumfließt, das einer betroffenen Region tage- und wochenlang heißes, trockenes Wetter bringen kann. Während die einen unter Hitzewellen stöhnen, beispielsweise hier zu Lande im Sommer 2018, setzt dann andernorts extremer Regen ganze Landstriche unter Wasser. Unter bestimmten Bedingungen kann sich das stehende Wellenmuster sogar unter einer Art Resonanz aufschaukeln. Dieses als Quasiresonanzverstärkung bezeichnete Phänomen wird zusätzlich durch den Klimawandel beziehungsweise die Arktische Verstärkung begünstigt, wie Wissenschaftler um den Klimaforscher Michael Mann 2017 herausgefunden haben.
Wie beeinflusst das Ozonloch den Jetstream?
Der Polarfrontjetstream auf der Südhalbkugel lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen wie sein Pendant auf der nördlichen Hemisphäre: Da er größtenteils über Ozeane hinwegweht, ist er nicht den vielen Turbulenzen durch hohe Gebirge oder plötzliche Temperaturunterschiede ausgesetzt, welche die Ausschläge nach Nord und Süd zusätzlich begünstigen. Doch seit Ende des 20. Jahrhunderts beobachten Wissenschaftler, dass sich der südliche Jetstream in Richtung Antarktis verschiebt. Den größten Beitrag dazu leistet offenbar das Ozonloch, wie Forscher von der Pennsylvania State University ermittelt haben.
Dieses reißt während des Frühjahrs auf der Südhalbkugel jedes Jahr in unterschiedlicher Größe über der Antarktis auf – 2017 maß es laut NASA rund 20 Millionen Quadratkilometer. Anschließend, während des australischen Sommers zwischen Dezember und Februar, verlagert sich der südliche Polarfrontjetstream in Richtung Pol. Die steigende CO2-Konzentration der Atmosphäre wirkt sich auch auf die Lage des Jetstreams aus und lässt ihn tendenziell äquatorwärts wandern, doch überwiegt die Wirkung des Ozonlochs diesen Effekt. Auf den Jetstream der Nordhalbkugel hat die Ozonkonzentration in der Stratosphäre vermutlich keinen Einfluss.
Welchen Einfluss hat der Jetstream auf Flugrouten?
Die Strahlströme der Erdatmosphäre wehen an der Obergrenze der Troposphäre in etwa 9000 bis 15 000 Meter Höhe – jenem Bereich, in dem auch Verkehrsflugzeuge fliegen. Dadurch können die Windsysteme großen Einfluss auf Flugreisen haben. Ein Jet, der in den mittleren Breiten von West nach Ost fliegt, kann durch den bis zu 500 Stundenkilometer schnellen Rückenwind viel Zeit und Geld einsparen: Im Februar 2019 erreichte eine Boeing 787 kurzfristig eine Geschwindigkeit von fast 1300 Stundenkilometern relativ zum Boden. In der umgekehrten Richtung sind die Winde lästig, und in den Zeiten vor der modernen Navigation waren sie manchmal sogar tödlich.
Der bekannteste derartige Unfall war der Absturz des umgebauten Bombers »Star Dust« im Jahr 1947, als dieser beim Flug Richtung Osten über den Anden in den Jetstream geriet und beim Landeanflug statt des Flughafens eine Bergflanke vorfand. Heutzutage sind Ort und Geschwindigkeit des Jetstreams in Echtzeit abrufbar, so dass Flugzeugcrews die Höhenwinde gezielt aufsuchen oder vermeiden. Da die Strahlströme sehr variabel sind, Schleifen werfen und sich hunderte Kilometer nach Norden oder Süden verschieben, muss die Flugroute besonders bei Langstreckenflügen dafür oft kurzfristig angepasst werden.
Neben günstigen und widrigen Winden hat der Jetstream außerdem einen weiteren, oft etwas unangenehmen Effekt: Seine Randbereiche sind sehr turbulent. Dort, wo der schnelle Strahlstrom an andere Luftmassen grenzt, bilden sich Wirbel, die ein Flugzeug ordentlich durchschütteln können. Anders als Turbulenzen durch Wetterphänomene, die meist an den mit ihnen verbundenen Wolken erkennbar sind, ist diese Art von Luftunruhe unsichtbar – und gelegentlich gefährlich. Unter Umständen kann ein Flugzeug sehr plötzlich Dutzende Meter fallen, so geschehen 1997 über dem Pazifik, als ein Jet auf dem Weg von Tokio nach Honolulu abrupt etwa 30 Meter absackte. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt, einer starb. Derartige Vorfälle passieren immer wieder. Im März 2019 gab es zum Beispiel auf einem Flug der Turkish Airlines durch heftige Turbulenz 29 Verletzte. Fachleute vermuten, dass die Wirbel rund um den Jetstream durch den Klimawandel merklich stärker und häufiger werden.
Wie beeinflusst der Jetstream den Monsun?
Der südasiatische Monsun ist ein Windsystem, das der Region von Pakistan bis Südchina im Sommer ergiebige Regenfälle, im Winter jedoch Kälte und Trockenheit bringt. Im Einflussgebiet der regelmäßigen Niederschläge leben mehr als eine Milliarde Menschen, deren Schicksal seit Jahrhunderten mit dem Monsun zusammenhängt – und damit auch mit den atmosphärischen Strahlströmen. Der Monsun im Süden Asiens wird geprägt von der Wechselwirkung der zentralasiatischen Gebirge mit dem subtropischen Jetstream. Dieser ist schwächer und weniger variabel als sein polares Gegenstück, denn er bezieht seine Kraft nicht aus Luftdruckdifferenzen, sondern aus der großräumigen Zirkulation tropischer Luftmassen.
Dennoch ist er entscheidend für den Beginn der reichhaltigen Regenfälle des Sommermonsuns in Südasien: Mit dem Beginn des Sommers bewegt sich der Jetstream immer weiter nach Norden – bis er an die mehr als acht Kilometer hohe Hauptkette des Himalaja stößt. Dort ist erst einmal Schluss. Erst wenn sich das dahinterliegende Tibet-Plateau aufgeheizt hat, hebt der Sog des entstehenden Tiefdruckgebiets den Jetstream über das Gebirge – und der Weg nach Südasien ist frei für die feuchten Luftmassen des Indischen Ozeans. Der nun nördlich an Tibet vorbeiziehende Strahlstrom erzeugt derweil ein breites Regenband von Nordchina über Korea nach Japan.
Der kalte und trockene Wintermonsun dagegen reagiert vor allem auf die Muster des polaren Jetstreams. Bei diesem Windsystem nämlich strömt kalte Luft von einem sehr stabilen Hochdruckgebiet über Zentralasien und Sibirien nach Osten und Süden, angezogen von den tieferen Luftdrücken über dem relativ warmen Ozean. Die langsam von Europa heranwandernden Schlaufen des polaren Jetstreams wechselwirken mit der Kaltluftblase über dem Inneren des Kontinents und können sie unter Umständen verstärken; in solchen Jahren sind die Winter in ganz Asien kalt und oft auch sehr trocken. Auch der subtropische Jetstream kann durch solche wandernden Wellen Störungen aus dem Mittelmeerraum nach Süd- und Ostasien tragen – was dann aber in einigen Regionen zu heftigen Schneefällen, in anderen zu einem ungewöhnlich feuchten und warmen Wintermonsun führt.
Warum dreht sich Jupiters Jetstream um?
Andere Planeten haben ebenfalls Strahlströme in der Atmosphäre, und Jupiter, der größte im Sonnensystem, besitzt wohl die eindrucksvollsten solchen Strukturen. Anders als die Strahlströme auf der Erde ziehen die Starkwindbänder des Gasplaneten allerdings nicht auf geschwungenen Pfaden über die Oberfläche, sondern sind schmal und wie mit dem Lineal gezogen. Der Gasriese zeigt noch eine weitere Besonderheit: Zusätzlich zu den auch von der Erde bekannten Jetstreams auf Nord- und Südhalbkugel erstreckt sich auf dem Jupiter ein Starkwindband genau entlang des Äquators – und dieser Jetstream ändert alle vier Erdjahre seine Richtung. Dieses als quasi-quadrenniale Oszillation (QQO) bezeichnete Phänomen war lange rätselhaft, bis 2017 ein Computermodell auf der Basis von Beobachtungsdaten die wahrscheinliche Ursache entdeckte. Demnach transportieren Schwerewellen in der unteren Atmosphäre Energie aufwärts in die Region des äquatorialen Jets und zwingen ihn so, in regelmäßigen Abständen seine Richtung umzukehren.
Auch auf der Erde gibt es ein vergleichbares Phänomen, das jedoch in der Stratosphäre stattfindet, weit über den klassischen Jetstreams. Nach der Explosion des Vulkans Krakatau im Jahr 1883 notierten Beobachter, dass Teile der Aschewolke in großer Höhe Richtung Westen drifteten; zwei Jahrzehnte später dagegen stellten Fachleute mit Hilfe von Forschungsballons in dieser Höhe eine Drift Richtung Osten fest. Erst in den 1950er Jahren lösten regelmäßige Messungen diesen Widerspruch auf: Die Windrichtung in der Stratosphäre über dem Äquator wechselt etwa alle 14 Monate. Schuld daran sind ebenfalls Schwerewellen – intensive tropische Gewitterstürme wühlen die untere Atmosphäre auf, so dass die Lufthülle unter der Grenze zur Stratosphäre bebt und wogt. Dieser Einfluss lässt die Winde in höheren Schichten in regelmäßigen Abständen kippen. Das klingt zwar weit weg, aber auch Europa kann sich diesem als quasi-zweijährige Oszillation bezeichneten Zyklus nicht entziehen, und daran ist wiederum ein klassischer Strahlstrom beteiligt: Wehen die äquatorialen Winde aus östlicher Richtung, ist der polare Jetstream schwächer, und in Europa steigt die Chance auf kalte Winter.
Ein ausführliches Video zum Jetstream finden Sie hier.
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